Gedankenexperiment zum Thema "strategische Autonomie" von Europa.

Wider den antiamerikanischen Blödsinn

Vorbemerkung

Wer unter "strategischer Autonomie" Europas von den USA nur versteht, dass Europa aus Daffke nicht macht, was die USA wollen oder einfach mal ohne besonderen Anlass den USA auf die Füße zu treten, der muss nicht weiter lesen. Das wäre aber auch kein ernstzunehmendes politisches Konzept.

Statt dem gefühlten Druck der USA dem Druck von anderen Staaten (z.B. von Russland oder China) nachgeben (inkl. aus Angst vor solchem Druck im vorauseilenden Gehorsam deren Bedingungen zu erfüllen), ist auch keine "strategische Autonomie".

Autonomie bedeutet mehr, als sich nur zu verweigern. Autonomie bedeutet, Gestaltungswillen zu haben und selbständig handlungsfähig zu sein.

Ausgangslage 

Die europäische Rüstungsindustrie und das Beschaffungswesen sind fragmentiert und deshalb ineffizient. Einfach ausgedrückt: ein Quantum Kriegstüchtigkeit ist teurer, als es sein müsste. Hinzu kommt, dass Deutschland und andere sich vor ausreichenden Verteidigungsausgaben drücken. In Summe wird also zu wenig Geld ausgegeben und davon auch noch zu teures Zeug gekauft.

Gedankenexperiment

Nehmen wir an, alle europäischen NATO-Mitglieder hätten gemeinsam eine sehr effizient aufgestellte Rüstungsindustrie und ein darauf aufbauendes ebenso effizientes Beschaffungswesen.

Im Wesentlichen würde dies bedeuten (analog zu den USA), es gäbe für alle europäischen NATO-Staaten einen gemeinsamen Kampfpanzer, einen gemeinsamen Schützenpanzer, einen gemeinsamen Kampfhubschrauber, einen gemeinsamen Jagdbomber, usw., jeweils Made in Europe, also im jeweils dafür am besten qualifizierten europäischen NATO-Staat bzw. dem entsprechenden Rüstungsbetrieb. Grundprinzip: große Stückzahlen, kleine Stückkosten.

Nehmen wir an, die Produktion erfolgte nur oder wenigstens überwiegend orientiert an minimalen Kosten bei maximaler Leistung, also Produktqualität bzw. militärischen Fähigkeiten, ausschließlich orientiert an den militärischen Bedürfnissen (also Kriegsfähigkeit und folglich Abschreckungsfähigkeit gegenüber Russland).

Nehmen wir weiter an, die europäischen NATO-Staaten stellten sich auch militärisch optimal arbeitsteilig und sich gegenseitig ergänzend auf und gäben sich im Rahmen der NATO eine Befehls- und Kommandostruktur, die den europäischen Teil der NATO jederzeit eigenständig handlungsfähig machte (also keine deutsch-französischen Brigaden für reine Showeffekte und zur symbolpolitischen Völkerverständigung, sondern echte militärische Schlagkraft).

Eine Folge wäre, dass die europäischen NATO-Staaten für maximale militärische Fähigkeiten minimal Geld ausgeben müssten, also entweder für 2% des Bruttoinlandsproduktes viel stärker wären, als sie es jetzt sind, oder, bei für alle Beteiligten (auch den USA) zufriedenstellender militärischer Stärke, mit weniger Militärausgaben als 2% des Bruttoinlandsproduktes auskämen.

In der Summe gäbe es also einen europäischen Teil der NATO, der jederzeit in der Lage wäre, RUS ohne Unterstützung der USA konventionell zu bekämpfen, abzuwehren  und deshalb abzuschrecken. Wenn wir das Problem der Extended Deterrence (die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Zusage, für die Verteidigung von Europa Nuklearwaffen einzusetzen und dadurch einen nuklearen Gegenschlag von RUS auf die USA zu riskieren) und die damit zusammenhängende Notwendigkeit der Stationierung von U.S.-Truppen ausschließlich als Stolperdraht beiseite lassen, könnten die USA also sehr viel militärische Ressourcen sparen.

Stattdessen könnten die USA ihre finanziellen und militärischen Mittel auf den Rest der Welt, den Nahen Osten und Asien konzentrieren. Entweder bekämen die USA an anderen Schauplätzen mehr Streitmacht für dasselbe Geld oder die USA bekämen dieselbe Streitmacht wie zuvor für weniger Geld.

Fazit

Wenn man unter "strategische Autonomie" Europas effizient aufgestellte, kollektive militärische Handlungsfähigkeit und Selbständigkeit der europäischen NATO-Mitglieder versteht, dann ist das offensichtlich im Interesse der USA. Mit einem so aufgestellten Europa hätte  es nie Ärger wegen des 2%-Zieles gegeben und nie einen Vorwurf aus den USA (der völlig zu Recht erhoben wird), Europa sei sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer, um nicht zu sagen, Schmarotzer.

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