Zur Sprengung der NS1 und NS2 Pipelines
Fakten (und nur Fakten, keine Meinungen)
Stand: 14.08.2024 (letzte Fassung 07.11.2023 (Überarbeitung in unregelmäßigen Abständen)
Korrekturhinweise oder Ergänzungen (mit Nachweis, bitte, und dran denken: Fakten, nur Fakten) werden gerne aufgenommen.
1. Als die Pipelines am 26.09.2022 gesprengt wurden, floss kein Gas durch die Pipelines. Russland hatte die Lieferung durch NS1 seit Juni 2022 stark reduziert und seit Anfang September 2022 völlig eingestellt.
2. Als die Pipelines gesprengt wurden, weigerte sich Russland, durch NS1 zu liefern. Russland behauptete, die Lieferung durch NS1 sei aufgrund technischer Probleme nicht möglich. Deutschland, inkl. der betroffenen Unternehmen in Deutschland, bestritten dies, und behaupteten, die Lieferung sei technisch möglich.
3. Als die Pipelines gesprengt wurden, war Deutschland bereit, über NS1 Gas zu beziehen und hatte das auch viele Male öffentlich kommuniziert. Es gab keine Weigerung von Deutschland, über NS1 Gas zu beziehen.
4. Deutschland war nicht bereit, Gas über NS2 zu beziehen. Unter anderem lag für NS2 keine Betriebsgenehmigung vor, die unter anderem auch von der EU hätte erteilt werden müssen. Dies war der Stand bereits am Tag des Angriffs von Russland auf die Ukraine am 24.02.2022.
5. Auf beiden Seiten, Deutschland und Russland, sind nicht Staaten oder Regierungen, sondern Unternehmen, die Vertragspartner in den Gaslieferverträgen. Auf russischer Seite ist Vertragspartei das Unternehmen Gazprom und für etwaige Vertragsverletzungen (wie potenziell unter 2. oben) ist ein internationales Schiedsgericht zuständig, wie es bei solchen internationalen Verträgen üblich ist.
5.1. Der deutsche Vertragspartner Uniper leitete im November 2022 ein solches Verfahren vor dem zuständigen Schiedsgericht ein und fordert Schadenersatz von Gazprom. Allein für das Jahr 2022 geht es dabei um rd. 12 Milliarden Euro.
5.2. Auch RWE leitete ein solches Schiedsgerichtsverfahren ein.
6. Bei Vertragsverletzung haftet das gesamte Gazprom-Vermögen weltweit. Bei einer Entscheidung des Schiedsgerichts gegen Gazprom könnte also Gazprom-Vermögen außerhalb von Russland beschlagnahmt werden.
7. Eine vorsätzliche, willkürliche Verweigerung der Gaslieferung über NS1 wäre eine Vertragsverletzung von Gazprom bzw. Russland und würde Schadenersatzansprüche begründen. Wäre Gazprom bzw. Russland nicht dafür verantwortlich, dass kein Gas geliefert wird, beispielsweise aufgrund der von Russland behaupteten technischen Schwierigkeiten oder aufgrund der Sprengung der Pipeline durch andere als Russland, wäre das “höhere Gewalt” und würde keine Schadensersatzansprüche begründen.
8. Im Oktober 2022 sagte der russische Energieminister im russischen Fernsehen, dass NS2, also die Pipeline, durch die RUS schon die ganze Zeit Lieferung anbot, von der Sprengung der Pipeline nicht betroffen sei. Berichte von Anfang 2023 sagen, dass zumindest eine von zwei NS2-Leitungen unbeschädigt sein soll.
9. Unabhängig davon, ob man das energiepolitisch für gut oder schlecht hält, die mittel- / langfristige Strategie von Deutschland zur deutlichen und dauerhaften Reduzierung der Abhängigkeit von russischem Gas stand mindestens für die Legislatur der amtierenden Bundesregierung (also bis 2025) bereits fest, bevor die Pipelines gesprengt wurden.
10. Zum Zeitpunkt der Sprengung liefen Vertragsverhandlungen zwischen Deutschland und Qatar bereits seit Monaten. Es war bereits bekannt, dass Qatar lang laufende Lieferverträge wollte. Im November 2022 wurde veröffentlicht, dass Qatar ab 2026 für 15 Jahre liefern wird.
11. Die mit Qatar vereinbarte Liefermenge ist, gemessen am derzeitigen Bedarf oder an der zuvor aus Russland bezogenen Menge, relativ klein. Lieferländer wie Qatar wollen langfristige Lieferverträge mit festgelegten, möglichst großen Mengen.
12. Auch diese Gaslieferverträge sollen, jedenfalls auf deutscher Seite, von privaten Unternehmen abgeschlossen werden. Im Fall der bereits vereinbarten Lieferungen aus Qatar soll das ein U.S.-amerikanisches Gashandelsunternehmen sein. Andere, deutsche, Unternehmen, sind auch im Gespräch mit Qatar.
13. Im Dezember 2022 schloss RWE einen 15 Jahre laufenden Liefervertrag mit einem U.S.-amerikanischen Unternehmen über die Lieferung von U.S.-amerikanischem LNG ab. Beginn der Lieferung ist das Jahr 2027, die Menge ist ähnlich, wie die im o.g. Liefervertrag mit Qatar, also relativ klein, gemessen am aktuellen Bedarf. RWE kann das LNG allerdings an jeden beliebigen Ort der Welt liefern, ist also frei, das Gas dort zu verkaufen, wo die besten Preise erzielt werden können.
14. Im Dezember 2022 jedenfalls kaufte Deutschland überwiegend auf dem Spotmarkt für Gas ein, also nicht unter langfristigen Lieferverträgen. Dadurch war Deutschland entsprechend dem Risiko kurzfristiger Preisschwankungen ausgesetzt.
15. Im Juni 2022 explodierte ein LNG-Terminal in Texas, wodurch rund 15%-20% der U.S.-amerikanischen LNG-Produktionskapazität ausfiel. Das Terminal hatte zuvor 70% seiner Produktion nach Europa geliefert. In unmittelbarer Folge diese Ereignisses stiegen die Weltmarktpreise für Flüssiggas. Die Aktienkurse von Unternehmen, die besonders viel mit diesem Terminal produzierten (es war ein Mietterminal für Dritte), sanken. Das texanische Terminal ging erst im Februar 2023 und nur teilweise wieder in Betrieb.
16. Parallel lief in einem norwegischen Terminal die Produktion wieder an, das zuvor eineinhalb Jahre, ebenfalls aufgrund eines Feuers, nicht produziert hatte. Dies betraf auch den Zeitraum seit September 2022, in dem Russland die Gaslieferungen über NS1 eingestellt hatte, und verringerte das Angebot von Flüssiggas auf dem europäischen Markt und dem Weltmarkt entsprechend.
17. Am 7. Juni 2024 entschied das zuständige Schiedsgericht in Stockholm nach Schweizer Recht (siehe 5.1. oben), dass Gazprom aufgrund Verletzung seiner Lieferverpflichtungen zu einer Schadenersatzzahlung an Uniper in Höhe von 13 Mrd. € verpflichtet ist und dass Uniper die bestehenden Gaslieferverträge mit Gazprom kündigen kann, ohne selbst schadenersatzpflichtig zu sein. Einzelne Verträge wären ansonsten noch bis in die 2030er Jahre gelaufen. "Das Schiedsurteil ist rechtlich bindend und final." Uniper entschied daraufhin, die Verträge mit Gazprom zu kündigen. Die Gaslieferverträge bestanden seit den 1970er Jahren. Das Schiedsgericht wurde im Laufe der Zeit von beiden Vertragspartnern mehrfach angerufen.
18. Im Jahr 2023 war Norwegen mit einem Anteil von 43% der wichtigste Gaslieferant von Deutschland.
18.1. 7% der deutschen Gasimporte 2023 kamen über deutsche LNG-Terminals an, von diesen 7% wurden 79% aus den USA importiert (also rd. 5,5% der gesamten deutschen Gasimporte 2023).
18.2. 26% der deutschen Gasimporte 2023 stammten aus den Niederlanden. 45% der niederländischen Gasimporte waren LNG und von diesen wiederum stammten rd. 2/3 aus den USA. Wenn man eine lineare Beziehung unterstellt, wären 2/3 von 45% von 26% der deutschen Gasimporte aus den Niederlanden LNG aus den USA, also rd. 7,7% der gesamten deutschen Gasimporte.
18.3. 22% der deutschen Gasimporte 2023 stammten aus Belgien. Ein Zeitungsbericht behauptet, 16% der belgischen Gasimporte kämen aus den USA. Auf dieser Grundlage kämen 16% von 22% der deutschen Gasimporte aus Belgien aus den USA, also rd. 3,5% der gesamten deutschen Gasimporte.
18.4. Auf dieser Grundlage (5,5%+7,7%+3,5%) wäre der Anteil von LNG aus den USA an den gesamten deutschen Gasimporten 2023 rd. 16,7%.
19. Im Juni 2024 hat ein deutscher Staatsanwalt einen Haftbefehl wegen Tatverdachts gegen einen ukrainischen Staatsbürger erwirkt. Zwei weitere Personen gelten als verdächtig. Angabegemäß kamen die entscheidenden Hinweise von einem ausländischen Nachrichtendienst. Die nachrichtendienstlichen Hinweise durften aus sicherheitspolitischen Gründen bzw. zum Quellenschutz nicht für die strafrechtlichen Ermittlungen verwendet werden. Auch ein europäischer Haftbefehl liegt vor. Hinweise auf den ukrainischen Staat als Auftraggeber gibt es nicht.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen